Deutschland hat ein Problem – mit Wohnungslosigkeit. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt – aber vom Reichtum spüren die wenigsten etwas. Wir alle kennen die Problematik: „Den obersten zehn Prozent der Bevölkerung gehören nicht etwa wie bisher geschätzt 59 Prozent der Vermögen. Sie besitzen rund zwei Drittel.“1 Andere, wie die Coronapandemie uns vor Augen geführt hat, besitzen nichts. Ein Grund hierfür: „Das Geld, das in die Miete fließt, fehlt den ärmeren Haushalten zum Sparen“.2
Nicht nur das Eigentum ist in diesem Land ungleich verteilt. Wie (un)angenehm man durch diese Krise kommt hängt vor allem von einem ab: der sozialen Klasse. Auf der einen Seite: Superreiche, die die Pandemie mit mehreren Angestellten und Assistent*innen in ihren Privatvillen aussitzen, während sie vom Staat Dividenden einstreichen und ihre Arbeiter*innen einer potentiell tödlichen Pandemie aussetzen – alles im Sinne der Kapitalvermehrung. Auf der anderen Seite die Arbeiter*innen: ökonomisch abhängig von ihrer Lohnarbeit, doch sind sie mit Kontaktbeschränkungen, sozialen und kulturellen Enthaltungen isoliert und weitgehend alleingelassen.
Die Mehrheit besitzt nichts.
Über die Hälfte, genauer 57,9% der Menschen in diesem Land leben zur Miete, sprich: ihre Wohnung ist nicht ihr Eigentum. Sind sie nicht im Stande – zum Beispiel aufgrund einer globalen Krise, einer psychischen Notsituation oder sonstigen Gründen für ihre Miete aufzukommen werden sie auf die Straße gesetzt. Das ist kein Geheimnis und findet tagtäglich statt. Die Entwicklung der Mietpreise in Deutschland ist ebenfalls kein Geheimnis: Im Vergleich zu 2015 haben sich die Mietpreise um 6,9% erhöht3, ohne dass sich das Einkommensniveau in irgendeiner Weise verändert (oder gar verbessert) hätte.
Auch wer sich dafür entscheidet der kapitalistischen Verwertungsideologie (möglichst vollständig) zu entkommen und ein alternatives Leben aufzubauen hat es schwer. Alternative Zentren und Freiräume, wie Wagenplätze, (ehemals) besetzte Häuser und Kulturzentren werden seltener, die Politik gegenüber diesen autonomen Zonen repressiver.
Besonders prominent: die Räumung des seit 30 Jahre besetzten Hauses „Liebig34“ in Berlin, das bereits im Vorfeld durch seine völlig überzogene Polizeipräsenz Aufmerksamkeit erregte. Nicht nur, dass Menschen unter hohem finanziellem und organisatorischem Aufwand – inmitten einer globalen Pandemie – auf die Straße gesetzt werden. Bisher wird von „einsatzbezogenen Mehrkosten von 425000 Euro“ gesprochen. Als Grund für die Räumung können nur Kapitalinteressen des Eigentümers genannt werden. Über 700 Häuser besitzt dieser allein in Berlin4, durch Ausbeutung der Mieter*innen und der Bauarbeiter*innen5, durch Nicht-Einhaltung des Mietendeckels und Drangsalieren der Anwohner*innen bereichert er sich schamlos – auf dem Rücken der Menschen, die dort wohnen. Gleichzeitig waren im Jahr 2018 678.000 Menschen ohne Wohnung. Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land Menschen dazu gezwungen sind bei Freund*innen unterzukommen (im besten Fall), auf der Straße zu leben und im Zweifel dazu verdammt zu werden für die Profitmaximierung von Einzelpersonen zu sterben.
Der Grund ist dafür ist klar: der Kapitalismus muss (!) expandieren. Neue Ressourcen erschließen, das Lohnniveau der Arbeiter*innen herunterdrücken, neue (globale) Märkte erschließen, technische Neuerungen in die Produktion verwenden – kurz: alles dafür tun, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Wieder auf Kosten der Arbeiter*innen. Für viele Menschen ist dieses Vorgehen die harte Realität. Aus diesem Grund gründete sich in Berlin die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ zusammen und fordern die Enteignung von 240.000 Wohnungen, die derzeit im Besitz von Immobilienkonzernen sind. Die Botschaft ist klar: „Keine Spekulation mehr durch Finanzinvestoren. Keine Hausverkäufe im großen Stil zu Schnäppchenpreisen mehr. Keine Zwangsräumung mehr von Leuten, die sich ihre Wohnung plötzlich nicht mehr leisten können“. 6 Durch Demonstrationen und öffentlichen Druck hat die Kampagne erreicht, was die Politik nicht erreichen wollte und konnte: sie sammelten innerhalb kürzester Zeit 77.000 Unterschriften, um ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen, dass „die Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“7 zum Ziel hat. Erwartet wird ein Ergebnis bis zum Herbst 2021.
Nur wer Teil des Systems ist kann Profit generieren – nur wer Profit generiert ist Teil der Gesellschaft
In den Medien und der allgemeinen Wahrnehmung sind Hausbesetzer*innen, Menschen, die in alternativen Wohngemeinschaften leben vor allem eins: Schmarotzer, Asoziale, Menschen, die auf Kosten anderer leben wollen. Dieses Framing dient dem Staat und seinem ausführenden Organ – der Polizei – als Grundlage gegen sämtliche alternative Lebensweisen repressiv zu agieren.
Was braucht man, um (gut) zu leben?
Gerade in kollektiv als herausfordernd befundenen Lebenslagen ist es für viele wichtig sozialen Rückhalt in ihrem Bekanntenkreis zu spüren und sich gegenseitig zu unterstützen. Auch hier in Regensburg gibt es Versuche dem mörderischen Kreislauf von Gentrifizierung und Spekulation mit Wohnraum zu entkommen. Dabei gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Soziale Initiativen wie Recht auf Stadt versuchen die Öffentlichkeit über vorhandene Missstände auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. Sie kritisieren die massenhafte Verwahrlosung von Wohnraum in Regensburg, mit ihrem „Leerstandsmelder“ schaffen sie Öffentlichkeit für die systematische Negierung der Stadt auf das Recht auf Wohnraum.
Andere, wie die Bewohner*innen der drei in Regensburg ansässigen Wagenplätze versuchen einen anderen Weg. Alternatives Leben in der Praxis. Alles, was sie dafür brauchen ist ein Grundstück auf dem sie leben können und ein Dach über dem Kopf (z.B. in Form von Wohnwägen, Zirkuswägen..). Beides ist bereits vorhanden, aber selbst mit diesen minimalen Anforderungen an die Stadt stoßen sie auf Widerstand. Auf dem Wagenplatz „Biberburg“ wurde den Bewohner*innen vom Bauordnungsamt Regensburg Steine in den Weg gelegt und somit faktisch die Schließung des Freiraums angeordnet. Eine weitere beliebte Taktik des Staates unliebsame Lebensweisen zum Schweigen zu bringen, ist das Argumentieren mit Brandschutzbestimmung. Ach ja, das alte Lied von den Brandschutzbestimmungen. Bereits in der Vergangenheit wurde versucht unter dem Deckmantel fehlender oder mangelnder Brandschutzmaßnahmen einen Fuß in die Tür alternativer Lebensräume zu bekommen, zuletzt in der besetzten Rigaer Straße 94 in Berlin. In manchen Fällen – wie hier in Regensburg – haben sie mit diesen fadenscheinigen Begründungen Erfolg. Ein weiterer Sieg für die kapitalistische Verwertungsideologie.
Was tun?
Egal in welcher Form man sich gegen Gentrifizierung, Räumungen etc. wehrt – sich wehren muss man. Dass der Staat nicht auf Seiten der Bürger*innen ist, ist hinreichend belegt. Die Coronakrise hat uns vor Augen geführt, dass die oberste Priorität der Politik die „Rettung“ der Wirtschaft ist – so weit so menschenverachtend. Doch auch wer sich jetzt in Sicherheit wähnt, ein festes Einkommen bekommt und sich die Miete (noch) leisten kann – auch eure Wohnung ist nur Kapital, das Vermieter*innen und Eigentümer*innen beliebig verwenden können. Einmal Eigenbedarf angemeldet und schon steht ihr vor der Tür.
Aus diesen Gründen ist es notwendig sich zu organisieren: Schafft solidarische Nachbarschaftshilfen, schließt euch in Mieterbünden zusammen. Nehmt euch das was euch zusteht! Im Falle einer Zwangsräumung muss genug gesellschaftlicher Druck vorhanden sein, dass man die Angriffe des Kapitals abwehren kann. Dass dieses Vorgehen funktionieren kann, zeigen uns erfolgreich verhinderte Räumungen, wie die der Roten Flora in Hamburg, der Rigaer94 in Berlin und weltweit. Immer dann, wenn sich genug solidarische Menschen zusammenfinden und eine Räumung aktiv verhindern, zeigt sich die wahre Stärke der Gemeinschaft.
The people united will never be defeated.
Quellen:
1 https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/vermoegensverteilung-deutschland-diw-studie-ungleichheit
2 (siehe Quelle 1)
3 https://de.statista.com/infografik/22313/entwicklung-des-wohnungsmietindex-fuer-deutschland/
4 https://padowatch.noblogs.org/raeumungsprozess-gegen-rebellinnen/#more-849
5 https://padowatch.noblogs.org/das-lohnraub-system-auf-padovicz-baustellen/
7 https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/09/volksbegehren-deutsche-wohnen-enteignen-zulaessig-berlin.html