Die Proteste in Deggendorf sind viel mehr als ein Frust ablassen genervter Bewohner*innen des Transitzentrums über die schlechten Lebensbedingungen dort. So haben es bis jetzt die meisten Presseartikel bis jetzt allerdings dargestellt.
Aber was die Menschen, die am Mittwoch, 20.12.17, ab 10 Uhr in Deggendorf protestierten bewegt ist viel grundlegender.
Ein Aspekt sind natürlich tatsächlich die unmenschlichen Bedingungen, die im Abschiebelager herrschen. Acht Menschen teilen sich zumeist ein Zimmer, die Hygienebedingungen sind so untragbar, dass selbst die Betreiber*innen des Lagers Angst vor Image Schaden bekamen, und seit Beginn der Proteste Desinfektionsmittelspender angebracht haben. Das Essen ist laut Bewohner*innen einfältig, ungenießbar und manchmal schon abgelaufen. Um bloß Kontakt zu Anwohner*innen zu verhindern, findet Beschulung zudem in einer Lager eigenen Einrichtung statt. Die medizinische Versorgung im Lager ist sehr eingeschränkt und alles, was über die minimale Grundversorgung hinausgeht, müssen Geflüchtete aus eigener Tasche zahlen.
So viel zu den unzumutbaren Lebensumständen, die aber leider den wenigsten Menschen gänzlich neu seien dürften.
Was die Bewohner*innen aber weiter wütend macht, ist die ignorante, scheinbar willkürliche Entscheidung, welche Nationalitäten wie behandelt werden. Das Schubladendenken der Deutschen Asylpolitik sorgt für ungerecht Behandlung von Menschen jeder Herkunft. Besonders deutlich aber wird das, wenn Menschen eines Herkunftslandes, für das Deutschland beschlossen hat, die Fluchtursachen zu ignorieren, zusammengepfercht werden. „Sind wir aus Sierra Leone einfach weniger wert?“, frägt ein fassungsloser Mann. Jeder dieser Menschen könnte erschreckende Geschichten erzählen, die Beweggründe für die Flucht mehr als deutlich machen.
Aber das besondere heute in Deggendorf war, dass es den Geflüchteten selber nicht nur um ihre Einzelschicksale ging.
Anders als zuvor in der Presse erklärt, waren es nicht nur Lagerbewohner*innen aus Sierra Leone. Menschen verschiedener Nationalitäten, jedoch überwiegend Westafrikanischer Herkunft, sodass sie mal wieder in eine Schublade gesteckt wurden, haben sich zusammengeschlossen. Auch Geflüchtete, die schon länger in Deutschland sind, haben sich der Bewegung angeschlossen. Es geht ihnen um grundlegende Veränderungen. In Reden und persönlichen Gesprächen forderten sie die Freiheit jedes Menschen, sich auf der ganzen Welt frei zu bewegen. Mit scharfen, klaren Worten, sprachen sie die globale, wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Herkunftsländer an und riefen auf zu einer gemeinsamen Revolution der „humanitär eingestellten Menschen“ gegen die Unterdrückung.
Diese Menschen sind nicht Hilfe erbettelnde Opfer, die auf die Mitleidsschiene setzen. Sie fordern eine grundlegende Veränderung in unserer Gesellschaft.
Die genauen Einstellungen variieren selbstverständlich stark innerhalb der Gruppe. Dies ist keine Gruppe, die hinter ein paar Anführern herläuft. Das wurde sehr deutlich, als sie begannen, in der Gesamtgruppe über ihre Forderungen zu diskutieren. Aber genau das ist auch so wertvoll, hier findet echter Austausch statt unter Menschen, die ihre Situation reflektieren, und sich in einen größeren Zusammenhang stellen.
Umso zerstörerischer könnte die Strategie der Behörden sein: sie verlangen immer wieder, dass einzelne Sprecher*innen mit ihnen in Verhandlung treten und zwingen der Gruppe dadurch ihre Hierarchien auf. Z.B. wurden Auflagen, die ein paar Vertreter*innen unterschrieben hatten, nur um überhaupt demonstrieren zu können, von einem Großteil der Gruppe kaum verstanden und oft grundlegend abgelehnt. Und schlussendlich setzte die Polizei auf Beschwichtigung, indem sie einen Vertreter des BAMF´s beauftrage in „Verhandlungen“ mit vier Repräsentant*innen der Protestierenden zu treten. Ob die Forderungen der Demonstrant*innen dabei ernsthaft erfüllt werden, lässt sich wohl sehr in Frage stellen.
Aber die Hingabe der Protestierenden macht dabei Hoffnung. Inmitten der hitzigen Debatten fand ein Mann eine wunderbare Formulierung, die mit schallendem Beifall begrüßt wurde: „Let us do this thing right. We are all in this together and we are prepared to go all the way. There is no giving up, we will do this together!”